Was passiert, wenn man beim Paddeln kentert?

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Ole auf hro1.de

Was passiert eigentlich, wenn man beim Paddeln kentert?

Ganz besonders Kajakfahrer riskieren beim Wasser- und Küstenwandern in der Einsamkeit der Natur ihr Leben, insbesondere dann, wenn Sie alleine unterwegs sind. Ein Kentern kann, auch mit besten Equipment, jederzeit passieren. Im Wasser schwimmende Gegenstände, Unaufmerksamkeit, oder einfach Fehler können in einem Sekundenbruchteil zum kentern führen. Der Kajakfahrer fällt dann ohne Vorwarnzeit, in das kalte Wasser, das kann vor allem bei niedrigen Wassertemperaturen schnell zum Überlebenskampf werden. An Unterkühlung sterben statistisch, aber nur gut ein Drittel, aller tödlich Verunglückten. Studien haben gezeigt, dass 60 % der Ertrinkungsfälle in den ersten 15 Minuten passierten – also lange bevor die ersten Symptome der Unterkühlung zu erwarten wären. Dabei gingen 63 % der Unfallopfer in einem Abstand von weniger als 15 Meter zum Ufer unter. Viele waren nicht imstande, auch nur die letzten zwei Meter zu schwimmen, um sich zu retten. Rund zwei Drittel der Betroffenen galten als gute Schwimmer. Der Grad der Fähigkeit einer Person, im warmen Wasser zu schwimmen, erlaubt keine Voraussage über das Verhalten in eisigem Wasser.

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Doch welche biologischen Mechanismen machen den Verunglückten unfähig, sich selbst zu helfen?

Stadium 1: Eintauchreflexe und Kälteschock

Mit dem Eintauchen in kaltes Wasser werden Nervenden in der Haut gereizt und lösen unmittelbar eine reflexartige Reaktion aus. Die betroffene Person beginnt sofort mit einem extrem tiefen Atemzug, der direkt zum Ertrinken führen kann. Häufig folgt dann ein vom Willen nicht unterdrückbares schnelles Atmen, durch das es zu Krämpfen kommen kann. Schon bei 15° Celsius Wassertemperatur ist die Fähigkeit zum Luftanhalten um 70 % reduziert. Es kommt zu Panik und Willensverlust, schließlich zum Inhalieren der nächsten Welle und zum Ertrinken – manchmal sogar trotz angelegter Rettungsweste. Hinzu tritt ein massiver Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck mit der Gefahr eines Herzstillstandes auf. Wenn das kalte Wasser zdann auch noch in die Ohren eindringt, wird zusätzlich das Gleichgewichtsgefühl stark beeinträchtigt. Die Folge kann ein fataler Verlust der Orientierung unter Wasser sein – man taucht z.B. tiefer, statt nach oben.

Stadium 2: Schwimmversagen

Der Kraftverlust der Muskulatur beträgt pro 1.Grad Temperaturabfall im Muskel 3 %:  Das wären bei einem Abfall von 37° Körpertemperatur auf 20° C bereits über 50 % Kraftverlust! Zusätzlich wirkt sich die Kälte in Form von verlangsamter Geschwindigkeit und Intensität der Nervenleitung aus. Diese Mechanismen führen nach 3 – 30 Minuten in Wasser unter 15° C zum Verlust, vor allem des Streckvermögens, aber auch der gesamten Koordination von Schwimmbewegungen, bis zum völligen Schwimmversagen und zum Ertrinken. Gegen die berechenbare Abkühlung der Arm- und Beinmuskeln und -nerven ist auch ein gut trainierter Sportler nicht gefeit, auch er verliert die Fähigkeit zur Selbstrettung. Das durch die Kälte „programmierte“ Schwimmversagen erklärt, warum sich 55 % der Ertrinkungsfälle innerhalb 3 Meter Entfernung von der Rettungsmöglichkeit (Boot, Ufer) ereigneten. Die Kälte vermindert nicht nur die Kraft der Arme und Beine, sondern auch die Feinarbeit der Handmuskeln und -nerven. Zum Kraftverlust addiert sich eine Reduzierung der Geschicklichkeit. Der Tod in kaltem, oder eisigem Wasser ereignete sich bei vielen Unfällen innerhalb weniger Minuten nach dem Eintauchen, oft obwohl die Opfer gesund und gute Schwimmer waren und häufig in knapper Entfernung zum rettenden Ufer oder Boot.

Die Botschaft dieser Fakten ist klar: Plötzliches und ungeschütztes Eintauchen in kaltes Wasser ist weit gefährlicher, als allgemein angenommen wird.

Stadium 3: Unterkühlung, bei längerem Aufenthalt im Wasser

Im Gegensatz zu Stadium 1 und 2 ist die langsam eintretende Unterkühlung des Körperkerns den meisten Kajakfahrern bekannt. Die Überlebenschancen hängen hier von vielen Faktoren ab: Von der Wassertemperatur, von der Bekleidung, dem Seegang und der Strömung, sowie der Produktion von Körperwärme z.B. durch Kältezittern und der Bewegung, sowie dem Verhältnis von der Körpergröße zur Körperoberfläche, der Dicke des Unterhautfettgewebes, von der körperlichen Fitness, von der vorheriger Nahrungsaufnahme, der Körperposition im Wasser und letztlich der Willensstärke des Verunglückten.

Stadium 4: Kollaps, nach der Rettung

Erfahrungsgemäß ereignen sich weitere 20 % der Todesfälle, während der Bergung aus dem Wasser, oder innerhalb der ersten Stunden dannach. Als Ursachen werden der Verlust der Kreislaufstabilisierung durch das kalte Wasser, ein Mangel an Kreislaufvolumen durch Bluteindickung und Unterkühlung des Herzmuskels, sowie der psychische Stress genannt. Auf jeden Fall muss man bei der Bergung mit dem so genannten „Afterdrop“ rechnen, einem weiteren Absinken der Kerntemperatur durch den Rückfluss kalter Blutflüssigkeit aus den Extremitäten.

Was tut man nach der Kenterung im Wasser?

  1. Kopf immer über Wasser halten und Körperbewegungen minimieren!
  2. Atmung in den Griff bekommen (Schock überwinden kann mehrere Minuten dauern)
  3. Situation einschätzen (wo ist das eigene Boot und die Ausrüstung / ggf. Hilfe),
  4. Am Boot bleiben, so schnell wie möglich den eigenen Körper ganz aus dem Wasser bekommen, mindestens Oberkörper auf Bootsrumpf, oder wenn Boot weggetrieben Paddel als Schwimmhilfe benutzen und versuchen Energie zu sparen.

Die Entscheidung zur Selbstrettung durch das Schwimmen an das nahe Ufer sollte ausdrücklich der letzte Ausweg sein, weil sie oft am wenigsten Aussicht auf Erfolg hat.

Einfach zu merkende Schlüsselbotschaften

  1. Bleibe am Leben!
  2. Halte dich aus kaltem Wasser raus!
  3. Kaltes Wasser tötet!
  4. Überlege bevor du rausfährst, wie du ggf. wieder aus dem Wasser kommst!
  5. Halte dich an irgendwas fest!
  6. Ziehe dich auf irgendwas rauf!
  7. Halte still, schwimme nicht!
  8. Halte dein Gesicht aus dem Wasser!
  9. Drehe deinen Rücken zu den Wellen!
  10. In kaltem Wasser geht nichts wie gewohnt!
  11. Du kannst nicht schwimmen, wenn du kalt und steif bist!
  12. Du kannst nicht mit starren Händen greifen!

Check Deine eigenen Fähigkeiten vor jeder Fahrt !

  • Eigene Rettung vor jeder Fahrt mental planen
  • Bei Kälte immer mit einer Rettungsweste und mit Neo- bzw. besser mit Trockenanzug paddeln
  • Eingeschaltetes wasserdicht- und schwimmfähig verpacktes Mobiltelefon, mit vorprogrammiertem Notruf mitführen
  • Paddel nur am helllichten Tag und immer möglichst nahe am Ufer
  • Trage der Witterung und dem Vorhaben angepasste Kleidung auf jeden Fall eine Rettungsweste.

Ihr habt noch eine Frage? … dann schreibt mir einfach eine E-Mail.

LG Euer Ole